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Können wir auf Treibgase bei der Anwendung von Medikamenten verzichten?
Prof. Dr. P. C. Schmidt
Als Treibgase für die Herstellung von zum Beispiel Aerosolen können sowohl Permanentgase wie
Druckluft, Stickstoff und Kohlendioxid als auch unter Druck verflüssigbare Gase, die auch als
Druckgase bezeichnet werden, eingesetzt werden. Druckgase unterliegen in Deutschland der
Druckbehälterverordnung und sind bei Raumtemperatur und Normaldruck gasförmig, lassen sich jedoch
geringen Drücken verflüssigen. Die bekanntesten Druckgase sind die fluorierten
Chlorkohlenwasserstoffe (FCKWs). Sie sind so stark in das Bewußtsein der Bevölkerung gerückt, dass
selbst Nicht-Fachleute den relativ komplizierten Namen dieser Verbindungsklasse mühelos über die
Lippen bringen. Dabei wird übersehen, dass z. B. in USA ein Gemisch aus Propan und Butan sehr
häufig für Druckgaspackungen als Treibgas verwendet wird. Auch Dimethylether, der in der Kosmetik
eingesetzt wird, hat als Treibmittel hervorragende Eigenschaften.
Definitionsgemäß sind FCKWs gemischte Halogenide des Methans und Ethans mit den Atomen Fluor,
Chlor und Brom in verschiedener Besetzung. Ihre Geschichte beginnt um 1900 mit dem Belgier Frédéric
Swarts, der als erster diese Verbindungsklasse synthetisierte. Die FCKWs traten nach ihrer Synthese in
einen langen Dornröschenschlaf ein, der erst im Jahre 1938 zu Ende war, als unter dem Namen Frigen
Sicherheitskältemittel für Kühlanlagen als Warenzeichen angemeldet wurden. Der zweite Weltkrieg
bedingte auch hier eine Zwangspause, so dass erst ab 1949 mit der Serienproduktion von
Haushaltskühlschränken mit Frigen 12 als Kältemittel begonnen werden konnte. Im Jahre 1953 wurden
in USA erstmals Treibgas-Aerosole mit Frigen als Treibmittel vermarktet, in Deutschland war es die
Firma Boehringer Ingelheim, die 1954 das erste Präparat auf den Markt brachte. Weitere Meilensteine
waren die Verwendung bei der Polyurethanweichschaumherstellung ab 1958, die erste Freilufteisbahn in
Oslo im Jahre 1965 und 1966 die Aufstellung der ersten chemischen Reinigungsmaschine. Einen
Höhepunkt in der Anwendung von Frigen stellt zweifellos die 1971 in Betrieb genommene
Flughafenklimazentrale des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens dar. Für diese Anlage wurden 13
Tonnen Frigen 12 benötigt, die in einer Turbo-Verdichteranlage 22,2 Millionen Kilokalorien
Kälteleistung in einer Stunde erbrachten. Es muss an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen
werden, dass eine solche Anlage im geschlossenen Kreislauf arbeitet und kein Frigen in die Umwelt
entlassen wird. Dies gilt auch für Kühlschränke, solange sie nicht auf Müllhalden beim Durchrosten des
Kühlmittelbehälters das Frigen freisetzen. Anders ist die Situation bei der Ausbringung eines
Polyurethanschaumes, wie er z. B. beim Einsetzen von Fenstern zum Ausschäumen und Abdichten des
Fensters verwendet wird. Die dabei ausgebrachten Mengen sind im Vergleich zu den bei Arzneimitteln
eingesetzten sehr groß. Der Verbrauch an Frigenen für Arzneimittel betrug zu Spitzenzeiten der Frigen-
Technologie weit weniger als 1 % der Weltproduktion. Auf dem Arzneimittelgebiet wird zwischen
sogenannten Oberflächensprays, wie sie z. B. für die Applikation eines Schaumes, eines Puders oder
einer Salbe eingesetzt werden und den sogenannten Dosier-Aerosolen zur inhalativen Asthmatherapie
unterschieden. Während man heute auf den Einsatz von Frigenen in Oberflächensprays vollständig
verzichtet hat, da diese auch anders hergestellt werden können, gibt es nach wie vor die Anwendung für
die Asthmatherapie. Selbst über das im Jahre 1991 in Deutschland ausgesprochene allgemeine Verbot
der Herstellung und Anwendung von Frigenen hinaus wird für Arzneimittel nach wie vor jährlich eine
Ausnahmegenehmigung erneuert.
Wie kam es zum Verbot der Frigene? Im Jahr 1974 erschien in der Zeitschrift "Nature" ein Artikel von
Molina und Rowland, in dem sie auf nur eineinhalb Textseiten Laborexperimente beschreiben, die einen
Ozonabbau durch atomares Chlor, das unter bestimmten Bedingungen aus Frigenen freigesetzt werden
kann, nachweisen. Diese Arbeit ist weltweit zu einer der am meisten zitierten wissenschaftlichen
Publikationen geworden und war Auslöser für das spätere Verbot der FCKWs. Damit wurde die Frage
nach einem Ersatz dieser Stoffe aktuell. Die Vorteile der Frigene waren durch das Gemisch
Propan/Butan und Dimethylether nicht wettzumachen. Beide zuletzt genannten Treibmittel sind brennbar
bzw. explosiv, während die als Treibmittel verwendeten Frigene nicht brennbar sind. Auf dem Gebiet
der Arzneimittel wurden deshalb verschiedene Wege beschritten:
- die Entwicklung neuer, chlorfreier Treibmittel,
- die Entwicklung von Präparaten, bei denen eine kleine Menge feinster Pulver in eine Kapsel abgefüllt
und mit speziellen Apparaturen zur Anwendung gebracht wird,
- die Entwicklung von sogenannten Mehrdosenbehältnissen, bei denen der Patient während der
Anwendung eine Dosis des Arzneimittels abteilt,
- die Entwicklung von Tabletten als Arzneistoffreservoir, von denen die benötigte Dosis im
spanabhebenden Verfahren abgeschabt wird.
1. Die Entwicklung neuer Treibmittel.
Die Entwicklung neuer Treibmittel verlief in zwei Stufen. Zunächst glaubte man, dass die Reduzierung
des Chloranteils im Molekül eine Verbesserung bewirken würde. Das Treibmittel H-FCKW 22, ein
sogenanntes teilhalogeniertes FCKW ist unbrennbar, hat eine geringere atmosphärische Lebensdauer,
einen geringeren Chorgehalt und wird wegen seiner Reaktionsfähigkeit bereits in den unteren Schichten
der Atmosphäre abgebaut, so dass eine direkte Ozonschädigung nicht stattfindet. Dieses Mittel starb
einen schnellen Tod, da sich der Verdacht auf eine krebserzeugende Wirkung nicht eindeutig widerlegen
ließ. Die zweite Stufe der Entwicklung neuer Treibmittel war erfolgreich. Mit den beiden Treibmitteln
Frigen 134a und Frigen 227 sind heute zwei chlorfreie Treibmittel erhältlich, deren Entwicklung und
toxikologische Prüfung zusammen weit über 60 Millionen DM gekostet hat. Den Hauptanteil machen dabei
die Kosten für die toxikologische Prüfung aus, die von einem Firmenkonsortium gemeinsam übernommen
wurden. Beide Verbindungen sind unbrennbar, haben bei Zimmertemperatur einen Dampfdruck, der in der
Größenordnung der bisherigen Frigene liegt und können somit für Arzneimittel verwendet werden. Die
Umstellung von bisherigen Formulierungen auf die neuen Treibmittel bereitet jedoch erhebliche
Schwierigkeiten, da die neuen Treibmittel andere Lösungseigenschaften aufweisen, mit den bisher in
Aerosol-Dosen verwendeten Dichtungen nicht kompatibel sind und somit erhebliche Kosten bei der
Umformulierung bestehender Produkte verursachen.
2. Kapselpräparate zur Anwendung als Aerosole.
Das Prinzip dieser Entwicklung beruht darauf, dass die zu inhalierende Pulvermenge in eine
Hartgelatine-Steckkapsel abgefüllt wird. Zur Anwendung muß diese Kapsel in einen speziell dafür
konstruierten Apparat eingebracht werden, der die Kapsel öffnet und das Pulver mit der Atmungsluft
des Patienten aus der Kapsel heraus und in die Luftwege transportiert. Für dieses Prinzip gibt es
eine Vielzahl von Patenten und Ausführungsformen. Als Vorteil dieser Applikationsform ist die
Tatsache zu sehen, dass treibmittelfreie Zubereitungen verwendet werden. Nachteilig wirkt sich die
Tatsache aus, dass zunächst eine Kapsel in den Apparat eingelegt und geöffnet werden muss, bevor
der Patient das Pulver einatmen kann, was bei einem Asthmaanfall zu Komplikationen führen kann.
3. Mehrdosenbehältnisse.
Hierunter werden Einrichtungen verstanden, die das Pulver in einem zentralen Kompartiment enthalten,
aus dem der Patient die benötigte Dosis selbst abteilt und zur Vernebelung bringt. Erstmals wurde
ein solches Präparat im Jahre 1988 unter dem Namen Turbohaler auf den Markt gebracht. Da hierbei
die Notwendigkeit des Einsatzes einer Kapsel fehlt, wird dieser Gruppe von Präparaten großes
Interesse entgegen gebracht, was sich in mehr als vierzig Patentanmeldungen für solche Geräte
niedergeschlagen hat.
4. Tabletten als Arzneireservoir.
Kernstück dieser Neuentwicklung ist eine ringförmige Tablette, an die von unten mittels einer Feder
ein Messerkopf mit drei Messern angepresst wird. Durch drehen der Messer wird eine definierte
Pulvermenge von der Tablettenoberfläche abgeschabt und vom Patienten über ein zentrales Mundstück,
das mit der Innenbohrung der ringförmigen Tablette in Verbindung steht, eingeatmet. Der Vorteil
dieser Anordnung gegenüber allen bisherigen pulverförmigen Zubereitungen besteht darin, dass die
Dosis "in situ" erzeugt wird. Dadurch wird die Gefahr des Verklumpens des Pulvers während der
Lagerung durch Temperatur- und Feuchteeinflüsse vermieden.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, dass das Verbot der FCKWs zu einem Innovationsschub auf
dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung geführt hat. Oberflächensprays werden heutzutage kaum noch
mit verflüssigbaren Treibgasen, sondern fast ausschließlich mit Permanentgasen hergestellt. Bei
Präparaten zur inhalativen Asthmatherapie läßt sich auf Grund der notwendigen Teilchengrößen im
Bereich von 2 bis 8 µm, die allein in der Lage sind, die Lungenalveolen zu erreichen, auf die Anwendung
von Treibmitteln nicht immer verzichten. Trotzdem ist durch die Entwicklung der Pulverinhalate und des
neuen Tablettenpräparates auch hier ein großer Fortschritt zu verzeichnen.
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