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Symmetrie in Wissenschaft und Kunst I - Symmetrie im Raum |
alt. title: |
Symmetrie im Raum - vom Kristall bis zum Kosmos |
creator: |
Kramer, Peter (author) |
subjects: |
Studium Generale,
Symmetrie,
Geometrie,
Wissenschaft,
Kunst,
Physik,
Kristalle,
Ornamente,
Kosmos,
Keplersche Gesetze,
Cayley-Diagramm,
Fundamentalbereich,
Torus,
Kramer, Peter
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description: |
Studium Generale Vorlesung, Montag, 26.11.2001 im Wintersemester 2001-2002
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abstract: |
Die mathematische Erforschung der Symmetrie, mit wichtigen Beiträgen
u.a. von F. Klein und S. Lie, ist
das Werk des neunzehnten Jahrhunderts. In Wirkung und
Rückwirkung mit ihr prägte sie in den Händen von A. Einstein, J. von Neumann,
H. Weyl und E. Wigner die Physik der Quanten und Felder des zwanzigsten
Jahrhunderts.
Die geometrische Symmetrie im Raum erschliessen sich am leichtesten
dem Auge, ihre Analyse wird daher hier ausgewählt und meist
an zweidimensionalen Beispielen ausgeführt. Die sichtbaren
Symmetrien von Ornamenten kehren auf der Längenskala der
Kristallgitter und vielleicht in kosmischen Skalen wieder.
Dass selbst im Raum die Auswirkung einer Symmetrie nicht immer
leicht zu erkennen ist, zeigt ein Blick auf die drei
Keplerschen Gesetze der Planetenbewegung: Die Drehsymmetrie
der Newtonschen Gravitation zeigt sich nicht unmittelbar in einer einfachen
Gestalt ihrer Bahn. Hier war es Keplers grosse Leistung die Kreisbahnen
durch Ellipsen zu ersetzen. Wie Kepler fand und wie wir dies viel später
als Folge der Drehsymmetrie erkannten, läuft die Bahn jedes Planeten in
einer Ebene und überstreicht dabei in gleichen Zeitabschnitten gleiche Flächen.
Das Beispiel zeigt den wichtigen Unterschied zwischen der Symmetrie
des Gesetzes und ihrer Auswirkung auf die Bahnen oder Felder des
Systems.
Wir beschränken uns auf beispielhafte höchstens zweidimensionale geometrische
Symmetrie und hier auf das Zusammenspiel zwischen den Operationen
der Symmetrie und dem von ihnen transportierten Motiv.
Die Operationen der Symmetrie.
Wie kann die Symmetrie einer Struktur oder eines ebenen Ornamentes
im Raum beschrieben werden? Wir stellen zwei Kopien desselben
Ornamentes her und prüfen, für welche Verschiebungen, Spiegelungen
oder Drehungen beide Kopien einander decken.
Die Liste dieser Symmetrie-Operationen ist die Symmetriegruppe.
Zwei Symmetrie-Operationen nacheinander ausgeführt lassen sich wieder
zu einer Symmetrie verknüpfen. Diese Verknüpfung nennt man die
Multiplikation in der Gruppe. Wählen wir wenige erzeugende
Operationen oder Generatoren und kennzeichnen wir ihre Verknüpfungen,
so erhalten wir Cayley's Diagramm-Darstellung der Gruppe.
Das Motiv einer Symmetrie: Fundamentalbereiche.
Eine einzige Symmetriegruppe eines Ornamentes oder Kristalls
lässt unterschiedliche
Realisierungen zu.
Wo liegt also der Unterschied zweier Ornamente oder Kristallstrukturen,
deren Symmetriegruppe übereinstimmt?
Die Antwort ergibt sich durch die Suche nach dem kleinsten räumlichen Motiv
eines Ornamentes, dessen Teile nicht durch Symmetrieoperationen in
Beziehung zueinander gesetzt werden können. Diese kleinste
räumliche Einheit nennen die Kristallographen die Zelle oder die asymmetrische
Einheit, die Mathematiker den Fundamentalbereich. Er hängt
von der gewählten Symmetriegruppe ab.
Wählen wir ein Motiv im Fundamentalbereich einer Gruppe, so
generieren ihre Operationen die gesamte Symmetriestruktur.
Auf der Suche nach Symmetrie: Die Autokorrelation.
Nicht immer sind alle Symmetrien einer gegebenen Struktur
evident. Zur Suche nach Symmetrieoperationen liegt es nahe,
eine Kopie der Struktur durch kontinuierliche Verschiebungen,
Spiegelungen oder Drehungen so lange zu transformieren bis man
eine Deckung mit der ursprünglichen Struktur findet.
Eine quantitative Durchführung dieser Idee liefert die
sogenannte Autokorrelation. Diese Funktion signalisiert
jede Symmetrie durch ein scharfes Maximum in ihrem Verlauf.
Periodische Symmetrie, Kristallgitter, Fundamentalbereich.
Alle Kristalle besitzen insbesondere eine räumliche Periodizität.
Unter ihren Generatoren befinden sich also bestimmt drei nicht in einer Ebene
liegende Verschiebungen, deren Verknüpfungen ein Gitter aufspannen.
Darüber hinaus zeigen Kristalle Symmetrien der Spiegelung und Drehung,
die aber so beschaffen sein müssen, dass sie das Gitter des Kristalls
in sich überführen. Aus diesen Bedingungen konnten A. M. Schoenflies und
E. S. Fedorov Ende des 19. Jh die 230 möglichen Raumgruppen der
dreidimensionalen Kristalle ermitteln.
Wegen der Periodizität kann der Fundamentalbereich eines
Kristalls stets in einer einzigen Gitterzelle gefunden werden.
Die Periodizität eines Kristalls weisen die Kristallographen
mittels der Autokorrelation nach. Die Autokorrelation
wird aus der Fourier-Analyse des diskreten Diffraktionsspektrums
von elektromagnetischen oder Materie-Wellen am Kristall gefunden.
Quasiperiodische Symmetrie, Quasikristalle, und mehr?
Die Listen von Schoenflies und Fedorov enthalten keine fünfzähligen
oder ikosaedrischen Punkt- oder Drehsymmetrien. Diese sind mit einem
Gitter nicht verträglich. Im Jahr 1984 fanden Shechtman et al.
die ersten Quasikristalle mit ikosaedrischer Punktsymmetrie und diskretem
Diffraktionsspektrum. R. Penrose fand 1974 Rhombenmuster, deren
Kanten parallel zu den Kanten eines regelmässigen Fünfecks verlaufen.
Die beiden Rhomben entsprechen Fundamentalbereichen, aber die
Aufbauregeln der Strukturen sind neuartig.
Bausteine für ikosaedrische Quasikristalle fanden R. Neri und P. Kramer im Jahr
1984. Seit 1984 wurde eine Fülle von Quasikristallen gefunden und untersucht.
Welche Symmetrieoperation
ordnen diese Quasikristalle? Eine solche Symmetrie ist
die sogenannte Inflation: Bausteine einer Struktur werden
um bestimmte Skalenfaktoren gedehnt und anschliessend wieder
in die alten Bausteine zerschnitten. Durch wiederholte
Inflation können grosse Quasikristall-Modelle erzeugt werden.
Dies zeigen wir anhand des quasiperiodischen
Tübinger Dreiecksmusters.
J. H. Conway und Ch. Radin erfanden 1994 auf ähnliche Weise
geordnete Strukturen, die weder periodisch sind noch eine bestimmte
Punktsymmetrie besitzen. Ob solche Strukturen stabil sind ist
eine offene Frage.
Aufwickeln der Kristallzelle zum Torus.
Die ganze Struktur eines z.B. quadratischen Kristalls ist in dem Motiv
einer Gitterzelle und in den Symmetrieoperationen enthalten.
Es genügt daher eine einzige Gitterzelle zu betrachten.
Jede Gerade führt zu einem Randpunkt dieser Zelle. Ihr
weiterer Verlauf kann stückweise in die erste Gitterzelle zurückverlegt
werden. Für rationale Steigung führt sie vom Mittelpunkt zum Mittelpunkt
zurück.
Der über dreitausend Jahre alten Idee der syrischen Rollsiegel folgend,
können wir die Zelle eines
zweidimensionalen Kristall in einer periodischen
Richtung auf einen Zylinder aufwickeln. Aufwickeln auch
in einer zweiten periodischen Richtung ergibt die Fläche des
sogenannten Torus. Wir vermeiden auf dem Torus die scheinbaren
Sprünge an den Rändern der Zelle. Das Abwickeln des
Torus führt wieder zur Ebene und zum Gitter zurück.
Die sichtbare Krümmung des Torus ist hier
ein Artefakt der dreidimensionalen Einbettung und keine
innere Eigenschaft. Eine innere topologische Eigenschaft ist aber
das Loch im Torus. Gerade Linien auf dem Torus sind
durch zwei Windungszahlen gekennzeichnet. Nach der Abwicklung
zählen sie die horizontal und vertikal durchquerten Gitterzellen.
Bezogen auf den Torus werden aus den ebenen Verschiebungen die
Elemente der topologischen sogenannten Homotopie-Gruppe.
Den unendlichen Kristall können wir vom endlichen Torus nur mittels
Brechung der Symmetrie unterscheiden, z.B. indem wir die Zustände
von Elektronen im Kristall untersuchen.
Der Kosmos: Unendlich oder endlich und kristallähnlich?
Beziehungen wie wir sie bei Kristallen fanden lassen sich
auch auf den Kosmos als Ganzen anwenden.
Einsteins Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie verknüpfen
die Raum-Zeit-Geometrie
des Kosmos lokal mit der Energie- und Materiedichte. Sie machen
aber keine Aussagen über die globale Struktur. Die Topologie der
Raum-Zeit wurde seit 1982 massgeblich von W. P. Thurston und J. R. Weeks
untersucht. Für die Entstehung und Zukunft des Kosmos ist sie
von ausschlaggebender Bedeutung. In einem endlichen geschlossenen
Kosmos könnten Lichtsignale zum Ausgangspunkt zurückkehren und
Bilder der eigenen Galaxie übermitteln.
Ob der Kosmos unendlich ist oder z.B. einen endlichen
kristallähnlichen Multi-Torus darstellt, muss mit Experimenten untersucht
werden. M. Lachieze-Rey und J.-P. Luminet haben 1995 die kristallographische
Methode der Autokorrelation auf die Verteilung von Galaxienhaufen
im Kosmos angewandt. Die Abwesenheit scharfer Maxima setzt eine
untere Grenze von ca 5 Milliarden Lichtjahren für eine mögliche
Periode im Kosmos.
Doppeltorus und Oktagon als Modelle eines relativistischen
Kosmos.
Eine genauere Übertragung der Symmetriebeziehungen vom Kristall auf den Kosmos
erfordert, dass die euklidische Metrik des Raumes durch die relativistische
Metrik der Raum-Zeit ersetzt wird. Eine solche Metrik lässt sich z.B.
auf dem zweidimensionalen Modell des Doppeltorus (Torus mit zwei Löchern)
einführen.
Der Doppeltorus kann aufgeschnitten und auf eine hyperbolische Ebene
gelegt werden. Statt der Quadrat-Parkettierung der euklidischen
Ebene erhalten wir eine Oktagon-Parkettierung der hyperbolischen Ebene.
Im Fundamentalbereich des Oktagons laufen Lichtstrahlen auf Kreisbögen,
die kürzesten geschlossenen Lichtlinien verbinden Randpunkte
des Oktagons.
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publisher: |
ZDV Universität Tübingen |
contributors: |
Zentrum für Datenverarbeitung Universität Tübingen (producer),
Hoffmann, Volker (organizer),
Häfelinger, Günter (organizer)
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creation date: |
2001-11-26 |
dc type: |
image |
localtype: |
video |
identifier: |
UT_20011126_001_symmetrie_0001 |
language: |
ger |
rights: |
Url: https://timmsstatic.uni-tuebingen.de/jtimms/TimmsDisclaimer.html?638678638131544359 |